Im
Dezember 1999 erschien das Buch Das Zeitalter der Werfer - eine
neue Sicht des Menschen.
Das
Buch enthält ein umfassendes Modell der menschlichen Evolution.
Das Modell ist um die Hypothese aufgebaut worden, dass der Mensch ein
hoch spezialisierter Werfer ist. Angesichts der zusammen getragenen
Fakten (Kap. 3.3) stellt sich allerdings die Frage, ob es sich
hierbei nicht eher um eine Beobachtungs - Tatsache handelt, als um
eine Hypothese.
Das
Buch ist durchaus für ein breiteres Publikum geeignet. Der Autor
hat sich bewusst darum bemüht keine Fachkenntnisse voraus zu
setzen, da sich die Thematik über eine ganze Reihe von
Fachbereichen erstreckt. Damit stehen auch Fachleute vor dem Problem,
nur mit einem Teil der behandelten Fragen vertraut zu sein und müssen
im Falle der anderen behandelten Fragestellungen erst eingeführt
werden.
Inhalt
Im Kap. 1.3 wird der für die Arbeit gewählte
Rahmen begründet. Im wesentlichen wird grundsätzlich für
die Entwicklung von Modellen und für einen breiten, Fach
übergreifenden Ansatz bei der Modellbildung plädiert. Die
Verunglimpfung sparsamer Modellansätze als Regenschirm -
Hypothesen wird kritisiert.
Kap 1.4 ist nicht als Zusammenfassung des Buches
gedacht. Vielmehr enthält es eine erkenntnistheoretische
Positionierung der Werfer - Hypothese und stellt in diesem
Zusammenhang wertvolle Instrumente bereit. Entscheidend für das
Verständnis des Buches ist der Gedanke, das Ausmass der
technischen Komplexität und Anforderungshöhe einer
Fähigkeit heran zu ziehen, um zwischen Anpassungsleistungen und
emergenten Eigenschaften zu unterscheiden. Damit wird das bei der
Identifizierung von Anpassungsleistungen bewährte Schlüssel
- Schloss - Prinzip auf den Menschen anwendbar.
Im Kap. 2 wird der gewöhnliche Schimpanse
(Pan troglodytes)
vorgestellt und begründet, warum er als Modell für den
Vorfahren der Hominiden verwendet wurde. Diese Wahl dürfte heute
fachlich weniger umstritten sein, als zu der Zeit, als das Buch
verfasst wurde.
In den Kapiteln 3.1 und 3.2 werden die
Australopithecinen, zu denen auch die menschlichen Vorfahren gehört
haben dürften, kurz vorgestellt. Aus einigen ökologischen
Überlegungen wird der keineswegs neue Schluss gezogen, dass die
Australopithecinen bewaffnet gewesen sein dürften, wobei unter
anderem die Verwendung geworfener Steine nahe liegt.
Im Kap. 3.3.1 wird anhand der Höhe und des
Umfangs der technischen Anforderungen denen Menschen beim Werfen
gerecht werden das Werfen als wichtige Anpassungsleistung des
Menschen identifiziert.
Im Kap. 3.3.2 wird die anatomische Entwicklung
heran gezogen, um den zeitlichen Verlauf der Werfer-Anpassungen zu
rekonstruieren. Für die Zeit vor mehr als 1.8 Millionen Jahren
werden Abwehr von Raubtieren und Aaserwerb als mögliche Ursachen
für die statt gefundenen Werfer-Anpassungen diskutiert. Es wird
gefolgert, dass diese Anwendungen allein nicht ausreichen, um das
Leistungsniveau des Menschen beim Werfen zu erklären.
Im Kap. 3.3.3 wird die Anforderungshöhe der
Bewegungskoordination beim Werfen behandelt. Die Beiträge von
William Calvin zu dieser Frage werden diskutiert und korrigiert.
Calvin`s Idee, dass Werfer-Anpassungen eine Vorreiter-Rolle bei der
Sprachentwicklung gespielt haben könnten wird befürwortet.
Im
Kap. 3.3.4 wird auf die enorme Anforderungshöhe der
Entfernungsabschätzung im Reichweiten-Bereich eines guten
Werfers hin gewiesen. Darauf beruhend wird in Übereinstimmung
mit den Ergebnissen moderner Kognitionsforschung die These
präsentiert, dass eine Verbesserung der visuellen Wahrnehmung
entscheidend zur Entwicklung der höheren geistigen Leistungen
des Menschen beigetragen hat.
Im Kap 3.4 wird ein Drei-Phasen-Modell der
Werfer-Evolution in der menschlichen Entwicklungslinie präsentiert.
In der ersten Phase vor mehr als 2.6 Millionen Jahren war die Abwehr
von Fressfeinden die anspruchsvollste Anwendung für das Werfen.
In der zweiten Phase zwischen 2.6 und ca. 1.9 Millionen Jahren kam
das Vertreiben von Nahrungskonkurrenten am Aas als anspruchsvollere
Anwendung hinzu. Die höchsten Anforderungen stellten die
Auseinandersetzungen mit Artgenossen benachbarter Gruppenverbände
seit ca. 1.9 Millionen Jahren.
Diesen Auseinandersetzungen ist ein eigenes Kapitel, das
Kapitel 4 gewidmet.
Im Kap. 4.1 wird der Homo erectus (ca. 1.8
- 0.5 Millionen Jahre vor unserer Zeit) anhand seiner Anatomie als
optimierter Werfer mit deutlichen Hinweisen auf die Verwendung
geworfener Steine in artinternen Auseinandersetzungen interpretiert.
Es werden Hypothesen angeboten wie und warum es zur Entstehung des
Homo erectus kam.
Im Kap. 4.2 werden denkbare Folgen der
Werfer-Anpassungen für die Individualentwicklung moderner
Menschen diskutiert.
Im Kap. 4.3 wird auf die erkenntnistheoretischen
Probleme hin gewiesen, mit denen man es bei der Behandlung der
letzten 1.8 Millionen Jahre der menschlichen Evolution zu tun
bekommt. Vor dem Hintergrund einer weitgehend stabilen Anatomie fand
hier eine enorme Gehirnexpansion statt. Menschlichem Verhalten kommt
eine Schlüsselrolle für das Verständnis dieser
Entwicklung zu. Das grösste Problem wirft dabei eine korrekte
Bewertung der Rolle, die die kulturelle Entwicklung dabei gespielt
hat, auf. Denkfehler und Vorurteile bei der Behandlung menschlichen
Verhaltens versperren hier den Weg zur Erkenntnis.
Ein aus evolutionstheoretischer Sicht zentraler Bereich
des Verhaltens ist das Sexualverhalten. Diesem ist das Kapitel 5
gewidmet. In diesem wird aufgezeigt, dass vor dem Hintergrund der
Werfer-Anpassungen die Annahme nahe liegt, dass Menschen biologisch
an ein schimpansenähnliches Sexualverhalten angepasst sind.
Körperliche und psychische Unterschiede zwischen Menschen und
Schimpansen können unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit
einer Fernwaffe erklärt werden, ohne Unterschiede in der
Gruppenstruktur oder bei den Reproduktionsstrategien im evolutionären
Entwicklungszeitraum des Menschen zu unterstellen. Diese Überlegungen
zum natürlichen Sexualverhalten des Menschen setzen lediglich
die Verfügbarkeit einer Fernwaffe voraus und können daher
inzwischen auch ohne Berufung auf die vorher präsentierte
Werfer-Hypothese bestehen. Wir wissen inzwischen, dass es sich
bereits bei den 400 000 Jahre alten Speeren von Schöningen um
hervorragende Wurfspeere handelte. Mit Flugeigenschaften, die
modernen Sportgeräten gleichkommen. Die Verfügbarkeit einer
wirkungsvollen Fernwaffe ist damit zumindest für die letzten 400
000 Jahre eindeutig erwiesen.
Im Kap. 5.3 wird eine Erklärung für die
menschliche Neigung sich zu verlieben angeboten.
Kap. 5.4 befasst sich in starker Anlehnung an das
zu Grunde liegende Schimpansenmodell mit den mutmasslichen
Fortpflanzungsstrategien unserer Vorfahren im Entwicklungszeitraum
zwischen 1.8 und 0.07 Millionen Jahren vor unserer Zeit. In
Unterkapiteln wird auf menschliche Eigenschaften eingegangen, die der
These eines schimpansenähnlichen, natürlichen
Sexualverhaltens unserer Vorfahren zu widersprechen scheinen. Kap.
5.4.1 befasst sich mit dem beim Menschen verdeckten Eisprung.
Kap. 5.4.3 mit dem Jungfernhäutchen. Kap. 5.4.4
mit der Frage, warum beim Menschen die Frauen das schöne
Geschlecht sind. Hier wird auch erläutert, warum Frauen
permanent vergrösserte Brüste zur Schau tragen und warum
Männer sich für diese interessieren. Im Kap. 5.4.5
wird auf Besonderheiten des menschlichen Flirtverhaltens hin
gewiesen, bei denen es sich um Reaktionen auf die Werfer-Anpassungen
handeln dürfte. Kap. 5.4.6 befasst sich mit der Frage,
warum bei Menschen modische Aspekte einen so hohen Einfluss auf die
Beurteilung der Attraktivität eines potenziellen Sexualpartners
ausüben können. Im Kap. 5.4.7 wird unter Berufung
auf das zu Grunde liegende Schimpansenmodell der These widersprochen,
dass Männer biologisch an eine Vaterrolle angepasst sind.
Kap. 5.5 befasst sich mit den möglichen
biologischen Grundlagen der männlichen Homosexualität.
Das sechste Kapitel dürfte das theoretisch
anspruchsvollste Kapitel des Buches sein. Hier geht es um
Wechselwirkungen zwischen kultureller und biologischer Entwicklung.
Im Kap. 6.1 wird gegen die beliebte These eines
biokulturellen Feedback bei der Entwicklung des menschlichen
Gehirns Position bezogen. Diese These wird mit ihren Konsequenzen am
Beispiel der Ausführungen von Dr. Friedemann Schrenk erläutert
und aus mehreren Richtungen angegriffen.
Insbesondere wird im Kap. 6.2 die
Werkzeugmacher-Hypothese zurückgewiesen, bei der es sich um eine
Spielart des biokulturelles Feedback - Ansatzes handelt. Die
gemächliche Entwicklung einer Werkzeugkultur vor dem
Jungpaläolithikum wird nicht als Triebkraft der
Gehirnentwicklung interpretiert, sondern als deren Folgeerscheinung.
Am Beispiel der Werkzeugmacher-Hypothese wird sehr deutlich, dass die
These vom biokulturellen Feedback nicht geeignet ist paläontologische
und archäologische Befunde miteinander in Einklang zu bringen.
Lang anhaltende Phasen starken Gehirnwachstums waren gleichzeitig
Phasen der Stagnation bei der Werkzeugentwicklung. Um die These vom
biokulturellen Feedback zu retten präsentierte Schrenk die
Vorstellung, dass die Grössenzunahme des menschlichen Gehirns
nur mit einer geringen Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit
einher ging. Diese soll dann erst in einer zweiten Phase, von einem
bereits sehr grossen Gehirn aus gehend ein sehr hohes Niveau erreicht
haben. Diese Vorstellung wird bereits im Kap. 6.1
zurückgewiesen.
Kap. 6.3 liefert weitere Argumente aus der
Gehirnforschung gegen diese Vorstellung.
Kap. 6.4 beschäftigt sich mit
Gesetzmässigkeiten der organischen Evolution und präsentiert
evolutionstheoretische Bedenken gegen einen derartigen Verlauf der
Gehirnevolution.
Kap. 6.5 beschäftigt sich mit den
Gesetzmässigkeiten der kulturellen Evolution. Es wird
aufgezeigt, dass der Anspruch mancher Soziobiologen auch menschliches
Verhalten auf Fitnessmaximierung zurückführen zu können
evolutionstheoretisch nicht haltbar ist. Die kulturelle Evolution
wird als eigenständiger Evolutionsprozess interpretiert, der zu
Verhaltensanpassungen führt, die nicht an der Fitnessmaximierung
orientiert sind. Typische Ziele der kulturellen Evolution
werden identifiziert und damit eine tragfähige Brücke von
der Evolutionstheorie zu den Sozialwissenschaften errichtet, die
allerdings nicht überschritten wird. Auf Belege aus den
Sozialwissenschaften wurde verzichtet um den Rahmen der Arbeit nicht
noch weiter auszudehnen. Aus den evolutionstheoretischen Überlegungen
der Kapitel 6.4 und 6.5 wird gefolgert, dass die enorme
Beschleunigung der kulturellen Produktivität in den letzten 0.1
millionen Jahren nicht durch organische Anpassungen in Gang gesetzt
wurde, sondern durch kulturelle Entwicklungen. Die dabei benötigten
geistigen Fähigkeiten sind im Rahmen der organischen Evolution
bereits wesentlich früher bereitgestellt worden und standen auch
anderen Menschen, wie z.B. den Neandertalern zur Verfügung.
Im Kap. 6.6 wird eine Erklärung für die
enorme Beschleunigung der kulturellen Produktivität beim
Übergang zum Jungpaläolithikum angeboten. Als
entscheidender Vorgang wird die Überwindung einer biologisch
begründeten Grössenbegrenzung der Gruppenverbände
durch kulturelle Veränderungen angesehen. Bei der Vergrösserung
der Gruppenverbände, dem Übergang von der Urhorde zum
Stammesverband, ging eine Bedeutungszunahme des kulturellen
Einflusses mit einem Bedeutungsverlust des genetischen Einflusses auf
das menschliche Verhalten einher. In den grösseren, kulturell
dominierten Gruppenverbänden gab es mehr Veranlassung für
kulturelle Produktivität und bessere Möglichkeiten diese
Produktivität durch Arbeitsteilung zu beschleunigen. Die
geistigen und sprachlichen Voraussetzungen für eine derartige
Entwicklung dürften bereits seit einigen hundert tausend Jahren
verfügbar gewesen sein. Die Kulturfähigkeit des Menschen
wird im Zeitalter der Werfer als emergente Eigenschaft
interpretiert und nicht als Quelle seiner geistigen Sonderstellung.
Im abschliessenden Kap. 7 wird ein mit dem
vorgestellten Modell der menschlichen Evolution verträgliches
Szenario der menschlichen Gehirnentwicklung präsentiert, das
sich über die letzten 5 Millionen Jahre erstreckt und mit
Voraussagen endet, die sich mit Methoden der experimentellen
Psychologie, der Kognitionsforschung oder der medizinischen
Diagnostik überprüfen lassen.
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