Gott, Gene und Gehirn (GGG) von Rüdiger Vaas und Michael Blume

Rüdiger Vaas und Michael Blume geben in diesem Buch einen Überblick über sehr unterschiedliche Forschungsansätze mit denen sich Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen der Frage annähern ob - und wenn, dann wie - Religiosität als evolviertes Phänomen verstanden werden kann. Die Autoren bemühen sich sichtlich darum die einzelnen theoretischen Vorstöße kritisch zu bewerten, stoßen dabei aber evolutionstheoretisch recht schnell an die altbekannten Grenzen, die mich schon vor 10 Jahren bewogen einen neuen evolutionären Wirkmechanismus für die Entwicklung der Religiosität zu postulieren – die memetische Verwandtenselektion. Dieser Mechanismus spielt bei den Erwägungen von Vaas und Blume keine Rolle und dieser Zustand dürfte symptomatisch für den Stand der wissenschaftlichen Diskussion sein. Mein Ansatz scheint also in den letzten 10 Jahren weder aufgegriffen worden, noch anderweitig ein zweites Mal entwickelt worden zu sein. Die aus meiner Sicht zu klärende Frage ist daher, ob ich in dieser Hinsicht ein früher Pionier, oder ein „Irrläufer“ bin. Hier hilft „GGG“ weiter, indem es umfangreiche Forschungsergebnisse präsentiert, die sich unter Verwendung meines Ansatzes wesentlich einfacher und widerspruchsfreier erklären lassen, als unter Rückgriff auf die altbekannten, im Buch präsentierten, evolutionären Mechanismen.

 

Die Autoren sind in der wissenschaftlichen Diskussion keine neutralen Beobachter, sondern treten als Vertreter eines bestimmten theoretischen Ansatzes an. Sie versuchen plausibel zu machen, dass bei der Entwicklung der Religiosität – im Gegensatz zur vorherrschenden (und auch meiner) Meinung – neben kulturellen Prozessen auch genetische Anpassungen eine Rolle gespielt haben könnten. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist eine sehr interessante und lesenswerte Einführung in den Stand der Forschung und der wissenschaftlichen Diskussion, die gelegentlich unterbrochen wird durch wenig überzeugende Versuche für den eigenen Standpunkt innerhalb dieser Diskussion zu werben. In einigen Fällen schaffen es die Autoren ihre eigenen Argumente nach einer kritischen Überprüfung zu hinterfragen – in anderen gehen sie sich selber „auf den Leim“. Hier zwei Beispiele für die beiden Kategorien:

 

1)      An prominenter Stelle auf Seite 12 in der „Vorschau“ steht: „Religionen gab und gibt es in allen menschlichen Gesellschaften. Deshalb ist Religiosität wahrscheinlich eine menschliche Universalie. Das spricht dagegen sie als rein kulturelles Phänomen zu begreifen.“ Wenn Sie sich in meinem Blog ein wenig umsehen oder das ZdW lesen, werden Sie sehr schnell merken, wie wenig ich von diesem Argument halte. Aber die Autoren zwingen mich gar nicht auf der Suche nach Gegenargumenten mich selber zu zitieren. Am Ende des Buches, im „Versuch eines Fazits“ steht auf Seite 220-221 zu lesen „Universalität: Religiosität kommt zwar in allen bekannten Kulturen vor, aber nicht bei allen Menschen. Außerdem erscheint sie weniger universell, wenn sie enger definiert wird. Und sie könnte auch als ein Kulturprodukt angesehen werden, wie etwa die Schrift …“. Das nennt man dann wohl eine späte Erkenntnis. In der Tat verweist die Universalität des Merkmals lediglich darauf, dass die afrikanische Ursprungspopulation vor ca. 70 000 Jahren, von der wir alle abstammen, dieses Merkmal vermutlich auch schon aufwies (Bei der Schrift verhält es sich da anders, aber die Schrift ist ja auch keine Universalie im von Evolutionspsychologen üblicherweise genutzten Sinne, weil sie gerade Naturvölkern fremd war). Gleichzeitig legen archäologische Funde nahe, dass Religiosität, wie man sie heute überall antrifft vor 70 000 Jahren etwas ausgesprochen neues war. Es könnte sich also sehr wohl auch um eine kulturelle Neuerung gehandelt haben, die die Expansion unserer Vorfahren erst eingeleitet hat. Dieses Szenario habe ich im ZdW entworfen und dabei auf die gesellschaftliche Funktionalität der Religionen hingewiesen, für die wiederum Vaas und Blume in „GGG“ zahlreiche Belege anführen.

2)      Mit der „Gretchenfrage“ haben Vaas und Blume sich in eine Sackgasse manövriert, aus der sie selbst nicht wieder herausgefunden haben. Es geht dabei um die Frage, ob Religiosität nicht eventuell im Rahmen der sexuellen Selektion entwickelt worden sein könnte – im Prinzip also nach dem gleichen Mechanismus, wie der prächtige Pfauenschwanz. Eingangs wird zwar eher nebenbei bemerkt, dass beim Menschen die sexuelle Selektion beide Geschlechter betreffen könnte – mit der „Gretchenfrage“ wird jedoch nur die mögliche sexuelle Zuchtwahl durch die Frauen als Mechanismus tatsächlich weiter verfolgt. Dies geschieht offensichtlich in der Annahme, dass die bei Frauen festgestellte, ausgeprägtere Religiosität damit eine mögliche Erklärung findet. Der Blick auf den Pfauenschwanz belehrt uns aber eines Besseren. Die Vorliebe der Weibchen für prächtige Schwanzfedern züchtet dieses Merkmal nicht den Weibchen an, sondern den Männchen. Hätte die Gretchenfrage also in der Evolution der Religiosität tatsächlich eine zentrale Rolle gespielt, dann müssten die Männer stärker zur Religiosität neigen und nicht die Frauen. Vaas und Blume stützen also ihre These in diesem Fall auf Daten, die dieser These widersprechen.

 

Das sind aber eigentlich lediglich Nebenkriegsschauplätze. Evolutionstheoretisch entscheidend ist die Frage, wie man die festgestellte gesellschaftliche Funktionalität der Religiosität erklärt. Die Autoren verweisen wiederholt darauf, dass eine Selektion auf Gruppenebene diese Phänomene als Anpassungsleistungen erklären könnte. Gruppenselektion sei jedoch unter Evolutionstheoretikern umstritten.

Damit wird dieses für die Fragestellung zentrale Problem im Buch meines Erachtens viel zu oberflächlich behandelt. Genau hier gelangen wir nämlich an den Punkt, an dem es möglich wird zwischen biologischen und kulturellen Anpassungsleistungen zu unterscheiden.

Die Autoren gehen sogar so weit Gruppenselektion als prinzipiell denkbaren Mechanismus zu bezeichnen, der eine soziobiologische Erklärung der Religiosität ermöglichen könnte. Gerade die Soziobiologie beruht jedoch auf dem Ansatz, dass Selektion auf genetischer Ebene greift. Bereits die Selektion auf der Ebene von Individuen anzunehmen ist aus soziobiologischer Sicht falsch – erst durch die genetisch motivierte Erweiterung auf die „inclusive fitness“ wird aus der Annahme der Selektion auf der Ebene der Individuen eine aus soziobiologischer Sicht brauchbare Arbeitshypothese.

Aus soziobiologischer Sicht zulässig ist dagegen der Versuch die Entstehung der Religiosität über den reziproken Altruismus zu erklären, auf den im GGG dann auch detailliert eingegangen wird. Bei der Kooperation anderer Lebewesen spielt reziproker Altruismus eine untergeordnete Rolle, was auf das Trittbrettfahrer – Problem zurückgeführt wird. Entsprechend konzentrieren sich Befürworter des Reziproker Altruismus – Ansatzes darauf, in der kulturellen Evolution die Entwicklung von Mechanismen zu sehen, die die Reichweite des reziproken Altruismus erhöhen und so dafür sorgen, dass Menschen ungeachtet der ausgeprägten Kooperation in großen Gruppenverbänden genetisch auf ihre Kosten kommen. Das Problem bei diesem Ansatz ist, dass die kulturellen Maßnahmen gegen egoistische Trittbrettfahrer tatsächlich dafür sorgen müssten, dass alle Gruppenmitglieder auf der Ebene der eigenen inclusive fitness unter dem Strich von der Kooperation profitieren. Nur wenn diese Bedingung erfüllt wäre, könnte man das, was am menschlichen Verhalten nach Gruppenselektion aussieht auf den reziproken Altruismus zurückführen.

Die Autoren geben sich keine Mühe zu überprüfen, ob kulturelle Verhaltensregeln eher dem Schutz der Gruppeninteressen gegen Trittbrettfahrer dienen oder dem Schutz der Fortpflanzungsinteressen jedes einzelnen Gruppenmitglieds. Aber sie präsentieren Daten, die es ermöglichen sich darüber ein Urteil zu verschaffen. Sehr interessant fand ich hier das Beispiel der Nonnen, die den Reproduktionserfolg auf Gruppenebene offensichtlich deutlich steigern können – dafür aber mit persönlichem Fortpflanzungsverzicht bezahlen. Soziobiologisch sieht das doch sehr nach Ausbeutung der Nonnen durch die anderen Gruppenmitglieder aus.

 

Wenn ich jedoch Recht habe und mein Erklärungsansatz besser geeignet ist um Merkmale wie Religiosität evolutionstheoretisch zu erklären, dann drängt sich die Frage auf, was die Autoren daran gehindert hat den gleichen Ansatz zu entwickeln. Sie sind sich offensichtlich vollauf dessen bewusst, dass eine rein kulturelle Entstehung der Religiosität die gängige alternative Sichtweise darstellt. Sie wissen natürlich, dass der bewährteste Ansatz zur Erklärung von Kooperation im Tierreich die Verwandtenselektion ist. Immerhin konnte die Entwicklung steriler Kasten bei Insekten auf diesen Mechanismus zurückgeführt werden, die wiederum an die oben erwähnten Nonnen erinnern. Was liegt also näher, als der bewährten genetischen Verwandtenselektion im Tierreich beim Kulturwesen Mensch die memetische Verwandtenselektion gegenüberzustellen – also die Kooperation von „Brüdern und Schwestern im Geiste“?

GGG enthält einen möglichen Hinweis darauf, warum die Autoren diesen aus meiner Sicht nahe liegenden Gedanken nicht entwickelt haben. Er findet sich auf der Seite 148:

Nimmt man die Virus-Metapher ernst, darf nicht übersehen werden, dass man beim Zusammenspiel von Parasiten und Wirten unterscheidet, ob diese vorwiegend horizontal (zwischen verschiedenen Wirten) oder aber vertikal (von Eltern zu Kindern) weitergegeben werden. Sich horizontal ausbreitende Parasiten tendieren dazu, ihre Wirte zwecks maximaler Ausbreitung rücksichtslos auszubeuten und im Extremfall zu töten. Auch kurzlebige religiöse Neugründungen beschreiten zuweilen diesen Weg …

… Eindringlinge, die sich dagegen hauptsächlich vertikal ausbreiten, sind jedoch dann besonders erfolgreich, wenn sie den Reproduktions- und Überlebenserfolg ihrer Wirte steigern. Statt von Parasiten spricht man dann von Symbionten.

An dieser Stelle wurde ein aus meiner Sicht entscheidender Aspekt kultureller Evolution übersehen – die kulturelle Pseudospeziation. Diese sorgt dafür, dass kulturelle Überlieferungen auch auf dem Wege der horizontalen Ausbreitung schnell an ihre Grenzen stoßen (können). Unter den Bedingungen unter denen die Religiosität ursprünglich entwickelt worden ist waren die Gruppengrenzen der einzelnen, noch relativ kleinen Verbände natürliche Barrieren für die Ausbreitung kultureller Informationen. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es in manchen Regionen Neuguineas alle 30 km eine Sprachgrenze. Religiös geprägte Weltbilder haben sich ursprünglich – gestützt auf die horizontale Ausbreitung kultureller Informationen innerhalb der Gruppen - als Kulturgut ethnozentrischer Gruppenverbände entwickelt und waren evolutionär vor allem dann erfolgreich, wenn der Gruppenverband als ganzes erfolgreich war. Dazu gehörte natürlich auch die biologische Reproduktion der Gruppenmitglieder, dabei kam es jedoch nicht darauf an welche Gruppenmitglieder sich in welchem Ausmaß fortpflanzten. Echten Parasitismus konnten sich kulturelle Informationen unter solchen Umständen gar nicht leisten. Was beim menschlichen Verhalten nach Gruppenselektion aussieht lässt sich daher aus evolutionärer Sicht sehr gut mit memetischer Verwandtenselektion erklären, wenn man annimmt, dass die Mitglieder eines kulturellen Gruppenverbandes aufgrund der Möglichkeit zum horizontalen Austausch kultureller Informationen memetisch näher miteinander verwandt sind als genetisch. Das Alles ist jedoch (für mich) nicht neu. Ich habe das Szenario im ZdW detailliert entwickelt. Die im GGG präsentierten Beobachtungen fügen sich meines erachtens sehr gut in dieses Szenario ein. Es bleibt daher zu hoffen, dass mein Erklärungskonzept von Fachleuten doch noch zum Anlaß für weitere Forschungen und gezielte Falsifizierungsversuche genommen wird. Dies kann in diesem Spezialfall weitgehend unabhängig von der Werfer-Hypothese im engeren Sinn geschehen.

 

Nachtrag (02.04.10): Michael Blume hat inzwischen zumindestens auf die in dieser Besprechung aufgeworfene Kritik an der “Gretchenfrage” reagiert und in seinem Blog eingeräumt: “was die Gretchenfrage angeht, sehe ich übrigens inzwischen ganz ähnliche Schwierigkeiten wie Sie”. Meines erachtens sagt dieser Vorgang mehr über die Qualität eines Wissenschaftlers aus, als ein Professorentitel. Anstatt mich zu ignorieren oder zu diskreditieren hat Michael Blume sich entschieden zum Wohle des Erkenntnisfortschrittes eine Kröte zu schlucken. Ich werde daher trotz (oder gerade wegen) unserer unterschiedlichen Erklärungsansätze für die Entstehung von Religiosität seinen weiteren Werdegang mit Interesse verfolgen und nehme dies auch zum Anlaß seinen Blog hier zu verlinken:

 

 http://www.chronologs.de/chrono/blog/natur-des-glaubens

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