Robert Bigelow’s “Und willst du nicht mein Bruder sein…”

bigelow011Dieses Buch erschien 1969 unter seinem englischen Originaltitel “The Dawn Warriors - Man’s Evolution toward peace”. Auf dem Deutschen Schutzumschlag wird der Anthropologe Carleton S. Coon mit seinem Urteil zitiert es sei “Die erste umfassende und in sich plausible Evolutionstheorie seit Darwin”.

Aus der Sicht der Armed Ape Theory ist die Lektüre dieses Buches vor allem empfehlenswert, um einen Eindruck davon zu erhalten wie viele “Belege” für meine Theorie ich 1999 im “Zeitalter der Werfer” (=Z.d.W) habe links liegen lassen, weil sie meinen Anforderungen nicht entsprachen. Aus meiner Sicht leidet Robert Bigelow’s Vorstoß unter dem klassischen Fehler, Aspekte des menschlichen Verhaltens herauszupicken, um darauf ein Evolutionsszenario aufzubauen. Dass er dabei der Wahrheit wohl näher gekommen ist als andere, verdankt er eher dem Zufall als der Stärke seines Ansatzes. Im Gegensatz zu zeitgenössischen Wissenschaftlern kann man zu Bigelows Entschuldigung allerdings noch anführen, dass er nicht wissen konnte, dass alle Menschen, die heute auf der Welt leben vor relativ kurzer Zeit aus einer kleinen afrikanischen Population hervorgegangen sind (aus diesem Umstand folgt die weitgehende Nutzlosigkeit vergleichender Verhaltensforschung an menschlichen Populationen für die Entwicklung von Evolutionsszenarien, die sich z.B. mit der Gehirnexpansion befassen, siehe dazu das Z.d.W.).

Seine Überlegungen zur Gehirnentwicklung waren trotzdem auch 1969 nicht wirklich plausibel. Es macht nicht wirklich Sinn einerseits zu unterstellen, dass das Zusammenwirken in grossen Gruppenverbänden zur Entwicklung großer Gehirne geführt habe und gleichzeitig aufzuzeigen, dass menschliche Gruppenverbände, deren Größe deutlich über den Verhältnissen bei anderen Primaten lagen erst in geschichtlicher Zeit - also nach der Gehirnexpansion - entstanden sind. Unnötig und inhaltlich auch falsch sind wohl Bigelows Vorstösse gegen Darwin und die Befürwortung der Gruppenselektion. Im Z.d.W. habe ich den Standpunkt vertreten, dass das, was beim menschlichen Verhalten nach Gruppenselektion aussieht im wesentlichen auf “memetischer Verwandtenselektion” beruht. Es handelt sich also um Phänomene, die in den Zuständigkeitsbereich der kulturellen Evolution fallen. Falsch dürfte auch die Vorstellung sein, dass bereits bei den Australopithecinen die Kriegführung eine wichtige Rolle bei der Evolution gespielt hat.

Sehr bemerkenswert sind dagegen Bigelow’s Überlegungen zum Verhalten von Schimpansen. Diese galten 1969 als ausgesprochen friedliebend und nicht territorial. Erste Freilandbeobachtungen schienen dies zu bestätigen und unterstützten romantische Vorstellungen von der im Grunde friedlichen Natur des Menschen. Bigelow interpretierte die Beobachtungen anders. Er vermutete, dass die beobachteten, friedlichen Interaktionen unter Gruppenmitgliedern stattgefunden hatten, die zur Nahrungssuche eigene Wege gingen, aber intelligent genug waren die Gruppenmitglieder zu kennen, auch wenn sie nicht die meiste Zeit gemeinsam verbrachten. Für Begegnungen von fremden Schimpansen sagte er - in deutlichem Widerspruch zum wissenschaftlichen Mainstream - Feindseligkieten voraus. Nur drei Jahre später setzten bei den am Gombe beobachteten Schimpansen Konflikte ein, durch die er vollauf bestätigt wurde. Heute wissen wir, daß Revierkonflikte unter gewöhnlichen Schimpansen unter allen Primaten die größten Ähnlichkeiten zur menschlichen Kriegsführung aufweisen.

Auf zwei Parallelen in den Überlegungen von Bigelow und mir möchte ich noch hinweisen. Zum einen hat bereits Bigelow angenommen, dass lokale Entwicklungszentren (heiße Zentren) für den Verlauf der menschlichen Evolution eine große Rolle gespielt haben - meine Überlegungen im Z.d.W. verliefen hier völlig analog. Die schnellsten Fortschritte machte die menschliche Evolution nach unseren Vorstellungen nicht da, wo die Umweltanforderungen am anspruchsvollsten waren, sondern da, wo es den Menschen am besten ging, sie infolgedessen die höchsten Reproduktionsüberschüsse aufwiesen, die wiederum zu den stärksten Revierkonflikten führten. In diesem Sachverhalt sah ich die Erklärung dafür, dass Expansionswellen wiederholt von der ursprünglichen, afrikanischen Heimat des Menschen ausgingen. Die zweite Parallele betrifft unseren gemeinsamen Optimismus hinsichtlich der menschlichen Zukunftsperspektiven. Ebenso wie ich 30 Jahre später leitete Bigelow aus der zentralen Bedeutung kriegerischer Auseinandersetzungen für den Verlauf der menschlichen Evolution ab, dass eine Zukunft ohne Krieg im Prinzip möglich ist.

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